Stasi-Check: Offener Brief an die Gemeindevertreter/innen in Zeuthen 8. März 2013 Sehr geehrte Gemeindevertreterinnen und –vertreter, mit großem Interesse habe ich die Diskussion über eine erneute Überprüfung aus Stasi-Tätigkeit der Gemeindevertreter verfolgt. Über den Ausgang war ich überrascht und enttäuscht. Ich kann viele Argumente, die scheinbar gegen eine Überprüfung sprechen, im Ansatz nachvollziehen. Ich würde es dennoch sehr begrüßen, wenn man Vorbehalte und offene Verfahrensfragen klären könnte, damit anschließend eine Überprüfung möglich wäre. Zunächst möchte ich jedoch meine Motive darstellen, warum mir eine erneute Prüfung so wichtig erscheint. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Straftaten aus der Vergangenheit schnell vergessen werden. Wohin dies führen kann, hat man in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950 und 60er Jahren gesehen. Wir alle tragen die Verantwortung, dass solche Dinge nicht noch einmal passieren. Dazu gehört nicht alleine, aber sehr wohl die Aufarbeitung des DDR-Regimes. Aus dem erweiterten Familienkreis sind mir selbst Fälle bekannt, in denen Personen zu Tätern und Opfern der jeweiligen Staatsmacht wurden – die Grenzen liegen teilweise dicht beieinander und sind sogar in ein und derselben Person zu finden. Ich bin 1981 geboren wurden und glücklich, nicht in der DDR die Volljährigkeit erreicht zu haben. Ich bin sehr froh, nie selber vor der Entscheidung gestanden zu haben, eine Unterschrift leisten oder stattdessen Repressalien erdulden zu müssen. Für mich ist auch nicht entscheidend, ob jemand eine Unterschrift geleistet hat oder nicht, sondern was sich daraus in der Folge ergeben hat. Mir geht es nicht um Gut oder Böse, ich möchte kein Urteil fällen und auch niemand, der in der vergangenen GVT-Sitzung mit Nein oder Enthaltung gestimmt hat, vorverurteilen. Für mich haben Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Verantwortungsbereitschaft eine hohe Bedeutung. Das sind auch Eigenschaften, die Vertreter des Volkes – in welche Ebene auch immer – haben sollten. Ich bin kein Moral-Apostel, aber ich lege sehr viel Wert auf gemeinsame Grundwerte. In den Medien und bei Stammtischgesprächen kommt immer wieder zu Sprache, dass die Jugend sich nicht für die Geschichte interessiert bzw. davon keine Ahnung hat. Wenn ältere Generationen aber nicht bereit sind, sich auch der eigenen Geschichte offen gegenüber zu stellen, dann handelt es sich nicht um einseitiges Problem der Jugend. (An Herrn Dr. Pohl: Eben weil ich nicht will, dass das Fernsehen bestimmt „wie Geschichte war“, ist es auch auf lokaler, greifbarer Ebene wichtig, die Auswirkungen von Regimen deutlich werden zu lassen und Zeitzeugen zu hören) Es wurden verschiedene Vorbehalte genannt, die aus meiner Sicht aber weitestgehend ausgeräumt werden könnten: – „Überprüfung nur 1980-89“ (Herr Laute) Nach meinem Kenntnisstand ist eine Überprüfung innerhalb diesen Zeitraum nicht zwingend, er kann größer sein bzw. ist größer. Woher stammt die Information, dass erst ab 1980 die Tätigkeit berücksichtigt wird? – „Über die Erkenntnisse können nur Personen urteilen, die in dem Staat gelebt haben“ (wenn ich mich recht erinnere Dr. Manfred Pohl und Dr. Inge Seidel?) Herr Dr. Pohl hatte berichtet, wie in den 1990er Jahren verfahren wurde. Wenn ich es richtig deute, wurde dieses Verfahren damals wie heute für akzeptabel bzw. angemessen befunden. Es spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, es erneut so zu machen – mit Personen, die die DDR aus eigenen Erfahrungen kennen. (Auch die Handreichung des Stasi-beauftragten spricht nicht dagegen!) – Sinngemäß „Es sollten keine Personen in der Öffentlichkeit gebrandmarkt werden, die nur eine Unterschrift geleistet haben, aber niemand jemand geschadet habe“ (Herr Dr. Pohl?) bzw. „ Wie soll man mit Personen umgehen, die im Gefägnis saßen, und nur freigekommen sind, wenn sie sich verpflichtet haben?“ (Herr Laute) Zunächst sollte durch eine unabhängige Kommission nach einheitlichen Maßstäben geklärt werden, ob und im welchem Umfang die Person für die Stasi tätig war. Liegt eine deutliche Belastung vor, sollte die Kommission die Person motivieren, nicht mehr zur kommenden Kommunalwahl anzutreten. Einen sofortigen Rückzug aus der GV (der ja ohnehin nur freiwillig erfolgen kann) halte ich nur für notwendig, wenn es sich aus heutiger Sicht um eine schwerwiegende Straftat gehandelt haben sollte (wobei ich so etwas nicht erwarte). In der Handreichung der „Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ wird deutlich auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte verwiesen. Da man sicherlich ähnlich verfahren würde/muss, sehe ich kein Problem. – „Es werden wieder nur die DDR-Bürger (vor-)verurteilt“ (Frau Dr. Seidel???) Nach meinem Kenntnisstand waren auch in der BRD Personen für die Stasi tätig. Insofern kann nicht grundlegend geschlussfolgert werden, dass Personen, die nach 1990 aus der BRD nach Zeuthen zogen, unbelastet sind. Im Übrigen würde ich auch nicht gegen einen zusätzlichen Antrag stimmen, der darüber Aufklärung verschafft, ob jemand für den BND oder andere Verfassungsschutzorgane tätig war (allerdings weiß ich nicht, welche rechtlichen Instrumente hierfür bereitstehen). – „Warum muss man sich immer wieder überprüfen lassen“ (Dr. Pohl & Herr Mitrasch) Die letzte Überprüfung fand 1996 auf Gemeinde-Ebene statt. Seit dieser Zeit hat sich nach meinem Kenntnisstand die Datengrundlage deutlich erweitert. Zudem ergaben sich in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse aus Querverbindungen, die durch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Unterlagen entstanden sind. Zwischen 1990 und 1996 standen „nur“ 6 Jahre zur Aufarbeitung zur Verfügung, zwischen 1996 und 2013 waren es ganze 17 Jahre. Nach meinem Kenntnisstand ist die Überprüfung auch nicht mit größerem Aufwand verbunden. – „Ich glaube nicht, dass es hier jemand mit Stasi-Vergangenheit gibt, der jemand anderes etwas Schlimmes angetan hat“ (Frau Tetzlaff) Dies kann nur einer Überprüfung bestätigen. Ich halte es – auch angesichts des bis heute negativen Images von Zeuthen, ein Stasi-Ort zu sein – im Interesse aller geboten, nicht weiter durch ein „Nein“ oder eine „Enthaltung“ der weiteren Aufarbeitung der Vergangenheit entgegen zu stehen. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie mit mir in Kontakt treten würden und wir gemeinsam eine Lösung suchen könnten. Im Gegenzug würde ich mich dann bereit erklären bei den Ortschronisten zu engagieren, um die Ortsgeschichte von 1945 bis heute auch zukünftigen Generationen erlebbar(er) zu machen. Mit freundlichen Grüßen Jonas Reif