Stasi-Check: Offener Brief an die Gemeindevertreter/innen in Zeuthen

Sehr geehrte Gemeindevertreterinnen und –vertreter,

mit großem Interesse habe ich die Diskussion über eine
erneute Überprüfung aus Stasi-Tätigkeit der Gemeindevertreter verfolgt. Über
den Ausgang war ich überrascht und enttäuscht.
Ich kann viele Argumente, die scheinbar gegen eine
Überprüfung sprechen, im Ansatz nachvollziehen. Ich würde es dennoch sehr
begrüßen, wenn man Vorbehalte und offene Verfahrensfragen klären könnte, damit anschließend eine Überprüfung möglich wäre.
Zunächst möchte ich jedoch meine Motive darstellen, warum
mir eine erneute Prüfung so wichtig erscheint.
Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Straftaten aus
der Vergangenheit schnell vergessen werden. Wohin dies führen kann, hat man in
der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950 und 60er Jahren gesehen. Wir alle
tragen die Verantwortung, dass solche Dinge nicht noch einmal passieren. Dazu
gehört nicht alleine, aber sehr wohl die Aufarbeitung des DDR-Regimes.
Aus dem erweiterten Familienkreis sind mir selbst Fälle
bekannt, in denen Personen zu Tätern und Opfern der jeweiligen Staatsmacht
wurden – die Grenzen liegen teilweise dicht beieinander und sind sogar in ein
und derselben Person zu finden.
Ich bin 1981 geboren wurden und glücklich, nicht in der DDR die
Volljährigkeit erreicht zu haben. Ich bin sehr froh, nie selber vor der
Entscheidung gestanden zu haben, eine Unterschrift leisten oder stattdessen
Repressalien erdulden zu müssen.
Für mich ist auch nicht entscheidend, ob jemand eine
Unterschrift geleistet hat oder nicht, sondern was sich daraus in der Folge ergeben
hat.
Mir geht es nicht um Gut oder Böse, ich möchte kein Urteil
fällen und auch niemand, der in der vergangenen GVT-Sitzung mit Nein oder
Enthaltung gestimmt hat, vorverurteilen.
Für mich haben Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit  und Verantwortungsbereitschaft eine hohe
Bedeutung. Das sind auch Eigenschaften, die Vertreter des Volkes – in welche
Ebene auch immer – haben sollten. Ich bin kein Moral-Apostel, aber ich lege
sehr viel Wert auf gemeinsame Grundwerte.
In den Medien und bei Stammtischgesprächen kommt immer
wieder zu Sprache, dass die Jugend sich nicht für die Geschichte interessiert
bzw. davon keine Ahnung hat. Wenn ältere Generationen aber nicht bereit sind,
sich auch der eigenen Geschichte offen gegenüber zu stellen, dann handelt es sich nicht um
einseitiges Problem der Jugend.
(An Herrn Dr. Pohl: Eben weil ich nicht will, dass das
Fernsehen bestimmt „wie Geschichte war“, ist es auch auf lokaler, greifbarer
Ebene wichtig, die Auswirkungen von Regimen deutlich werden zu lassen und
Zeitzeugen zu hören)
Es wurden verschiedene Vorbehalte genannt, die aus meiner
Sicht aber weitestgehend ausgeräumt werden könnten:
         
„Überprüfung nur 1980-89“ (Herr Laute)
Nach meinem Kenntnisstand ist
eine Überprüfung innerhalb diesen Zeitraum nicht zwingend, er kann größer sein bzw.
ist größer. Woher stammt die Information, dass erst ab 1980 die Tätigkeit berücksichtigt
wird?
         
„Über die Erkenntnisse können nur Personen
urteilen, die in dem Staat gelebt haben“ (wenn ich mich recht erinnere Dr.
Manfred Pohl und Dr. Inge Seidel?)
Herr Dr. Pohl hatte berichtet,
wie in den 1990er Jahren verfahren wurde. Wenn ich es richtig deute, wurde
dieses Verfahren damals wie heute für akzeptabel bzw.  angemessen befunden. Es spricht aus meiner
Sicht nichts dagegen, es erneut so zu machen – mit Personen, die die DDR aus
eigenen Erfahrungen kennen. (Auch die Handreichung des Stasi-beauftragten
spricht nicht dagegen!)
         
Sinngemäß „Es sollten keine Personen in der
Öffentlichkeit gebrandmarkt werden, die nur eine Unterschrift geleistet haben,
aber niemand jemand geschadet habe“ (Herr Dr. Pohl?) bzw. „ Wie soll man mit
Personen umgehen, die im Gefägnis saßen, und nur freigekommen sind, wenn sie
sich verpflichtet haben?“ (Herr Laute)
Zunächst sollte durch eine unabhängige
Kommission nach einheitlichen Maßstäben geklärt werden, ob und im welchem Umfang die
Person für die Stasi tätig war. Liegt eine deutliche Belastung vor, sollte die
Kommission die Person motivieren, nicht mehr zur kommenden Kommunalwahl
anzutreten. Einen sofortigen Rückzug aus der GV (der ja ohnehin nur freiwillig
erfolgen kann) halte ich nur für notwendig, wenn es sich aus heutiger Sicht um
eine schwerwiegende  Straftat gehandelt
haben sollte (wobei ich so etwas nicht erwarte).
In der Handreichung der „Landesbeauftragten
zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ wird deutlich auf die
Wahrung der Persönlichkeitsrechte verwiesen. Da man sicherlich ähnlich verfahren
würde/muss, sehe ich kein Problem.
         
„Es werden wieder nur die DDR-Bürger
(vor-)verurteilt“ (Frau Dr. Seidel???)
Nach meinem Kenntnisstand waren
auch in der BRD Personen für die Stasi tätig. Insofern kann nicht grundlegend
geschlussfolgert werden, dass Personen, die nach 1990 aus der BRD nach Zeuthen
zogen, unbelastet sind. Im Übrigen würde ich auch nicht gegen einen
zusätzlichen Antrag stimmen, der darüber Aufklärung verschafft, ob jemand für
den BND oder andere Verfassungsschutzorgane tätig war (allerdings weiß ich
nicht, welche rechtlichen Instrumente hierfür bereitstehen).
         
„Warum muss man sich immer wieder überprüfen
lassen“ (Dr. Pohl & Herr Mitrasch)
Die letzte Überprüfung fand 1996
auf Gemeinde-Ebene statt. Seit dieser Zeit hat sich nach meinem Kenntnisstand
die Datengrundlage deutlich erweitert. Zudem ergaben sich in der Zwischenzeit neue
Erkenntnisse aus Querverbindungen, die durch die wissenschaftliche Aufarbeitung
der Unterlagen entstanden sind. Zwischen 1990 und 1996 standen „nur“ 6 Jahre zur
Aufarbeitung zur Verfügung, zwischen 1996 und 2013 waren es ganze 17 Jahre.
Nach meinem Kenntnisstand ist die
Überprüfung auch nicht mit größerem Aufwand verbunden.
         
„Ich glaube nicht, dass es hier jemand mit
Stasi-Vergangenheit gibt, der jemand anderes etwas Schlimmes angetan hat“ (Frau
Tetzlaff)
Dies kann nur einer Überprüfung
bestätigen.
Ich halte es  – auch angesichts des bis heute
negativen Images von Zeuthen, ein Stasi-Ort zu sein – im Interesse aller
geboten, nicht weiter durch ein „Nein“
oder eine „Enthaltung“ der weiteren Aufarbeitung der Vergangenheit
entgegen zu stehen.
Ich würde mich freuen, wenn auch Sie mit mir
in Kontakt treten würden und wir gemeinsam eine Lösung suchen könnten.
Im Gegenzug würde ich mich dann bereit erklären bei den
Ortschronisten zu engagieren, um die Ortsgeschichte von 1945 bis heute auch zukünftigen
Generationen erlebbar(er) zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Jonas Reif